Erinnerungen und Nostalgie sind etwas schönes. Ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen, wie ich heimlich nachts als kleiner Bengel stundenlang noch mit einem kleinen Lämpchen oder der Game Boy Lupe mit Licht Nacht für Nacht Pokemon Blau und – kurze Zeit später – Pokemon Gelb gesuchtet habe. Die Angst, dass mich und meinen Bruder unsere Mutter dabei erwischt, war wirklich groß. Das hielt uns jedoch nicht davon ab. Immerhin hatten wir einen Job zu erledigen. Denselben Job, den nahezu jedes pflichtbewusste Kind meiner Generation hatte – der stärkste Pokémon-Trainer der Welt zu werden. Und dies wird man nun einmal nicht im Schlaf.
Mein Bruder und ich hätten damals alles getan, um Pokémon im realen Leben fangen zu können. Wir hätten ganze Bäume ausgerissen, nur um am Fernseher die kleinen Monster fangen, im Couch-Koop die Welt von Kanto erkunden und dabei gemeinsam andere Trainer herausfordern zu können. Die Möglichkeit, Pokémon in der realen Welt zu fangen, hat Pokémon GO schnell zu einem weltweiten Phänomen gemacht, weshalb ich die Kids von heute dank unzähliger moderner Technologien ein wenig dafür beneide.

Als Pokémon: Let´s Go, Pikachu! und Pokémon: Let´s Go, Evoli! angekündigt wurde, war die Nachricht nicht wirklich überraschend. Die Pokémon-Community ist unbestreitbar größer als jemals zuvor. Sie ist jedoch aufgeteilt zwischen jenen, die ausschließlich Pokémon GO spielen und denjenigen, die sich seit Jahrzehnten an die Core-Games der Nintendo-Konsolen halten. Natürlich gibt es auch einen Großteil jener, die in beiden Welten Zuhause sind und von Pokémon einfach nicht genug bekommen können. Und genau an dieser Stelle versucht Nintendo die Lücke zwischen beiden Welten zu schließen, um altbewährtes mit Neuem zu vereinen. Ob dies auch wirklich gelungen ist?
Die Pokémon Let’s Go-Spiele sind quasi ein Remake der Gelben Edition des Pokémon-Klassikers für den Game Boy. Sie wurde auch Pokémon Special Pikachu Edition genannt und war im Endeffekt (bis auf wenige Details) der damaligen Roten und Blauen Edition extrem ähnlich. Der einzige gravierende Unterschied war – und das war für Serienfans Kaufgrund genug – die Tatsache, dass man als Start-Pokémon weder Bisasam, Schiggy oder Glumanda wählen konnte, sondern die kleine, freche, gelbe Maus Pikachu erhielt, die einem wie in der Serie nicht von der Seite weichen wollte und einem die ganze Zeit hinterherlief statt in seinen Pokeball zu gehen. Anders als beim Game Boy-Klassiker gibt es dieses mal zwei Versionen. Der wichtigste Unterschied liegt bei der Wahl des Starter-Pokémon. Denn bereits beim Kauf der Version entscheidest du dich, ob du deine Reise mit einem Pikachu oder einem Evoli absolvieren möchtest.

Die Rückkehr in die Kanto-Region fordert dich auf die acht Arena-Leiter zu besiegen, bevor du dich den Elite-Vier stellen kannst. Nebenbei durchkreuzt du dabei noch die Pläne von Team Rocket. In vielerlei Hinsicht ist Pokémon Let’s Go sowohl ein perfekter Einstiegspunkt für Neuankömmlinge, die zum ersten Mal auf Entdeckungsreise gehen, als auch eine wundervolle, nostalgische und zugleich moderne Reise in die Vergangenheit für all jene, die noch einmal nach Kanto und somit in die Erinnerungen ihrer Kindheit zurückkehren möchten. Denn Fakt ist, die Welt von Pokémon sah noch nie schöner aus. Und ein richtiges 3D-RPG-Abenteuer wünschen sich die Fans seit mindestens einem Jahrzehnt.
Nachdem du sowohl im TV- als auch im Handheld-Modus in die Kanto-Region geflüchtet bist, gibt es nur wenige Kompromisse bei der Spiel-Erfahrung. Trotz einiger kleiner Framerate-Probleme im Handheld-Modus war es schwer, sich nicht wieder in die sonnenverwöhnten Landschaften zu verlieben. Der Grafik-Stil wurde perfekt gewählt. Selbst kleinere Details wie Textboxen oder Animationsübergänge, wenn man von der Welt in einen Kampf wechselt, fallen sofort positiv ins Auge. Die Kämpfe und Animationen sind effektreich mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Das einzige was mir nicht so gut gefällt, ist die Tatsache, dass immer noch auf solch Stereotypen gesetzt wird, die alle gleich aussehen, sich steif bewegen und sich nur im 90-Grad-Winkel drehen können. Aber das soll vielleicht auch nur den alten Charme zurückbringen. Außerdem muss ich an der Stelle großes Lob aussprechen für die Möglichkeit im Menü Animationen ausstellen zu können. Wer in kurzer Zeit viele Kämpfe schaffen will, kann die Kämpfe hiermit extrem beschleunigen. Natürlich sieht dann nichts mehr spektakulär aus und wird auf das Nötigste heruntergebrochen. Jedoch lohnt es sich, wenn man nur noch für 30 Minuten spielen kann, aber eine bestimmte Route mit etlichen Trainern, die einem zu einem Kampf herausfordern, abschließen möchte.

Wer wie ich mit Pokémon aufgewachsen ist und einen Großteil seiner Kindheit damit verbracht hat, dem fallen vor allem sofort die vielen Orchestrierungen auf. Man fühlt sich wieder knapp 20 Jahre zurückversetzt. Mit einem breiten Lächeln erkennt man viele bekannte Melodien wieder, die jedoch neu und modern arrangiert wurden. Im Großen und Ganzen liebe ich die Musik und den Sound des Spiels. Es gibt jedoch Stellen, wo sie extrem nerven kann. Wer von euch beispielsweise die Silph Company erreicht oder sich ein wenig länger mit einzelnen Weiterentwicklungen im Pokedex beschäftigt, der wird früher oder später auf viel zu kurze Sound-Loops stoßen oder nervtötende Melodien ertragen müssen, während er stundenlang einen Dungeon durchstreift.
Viele bekannte Spiel-Mechaniken haben sich verändert. Game Freak hat mit Pokémon Let’s Go (zugegebenermaßen etwas unübersichtlich) viele Änderungen vorgenommen. Das prominenteste ist, dass die Kämpfe wilder Pokémon entfernt wurden. Um die Lücke zwischen Pokémon GO und der Mainline-Serie zu schließen, kannst du die Pokémon, die du fangen möchtest, in der Welt um dich herum sehen. Dieses Feature ist meiner Meinung nach seit Jahren überfällig und verbessert die Serie aus ihrem klassischen und vor allem überalteten Rollenspiel-Element heraus. Geändert hat sich jedoch auch die Tatsache, dass man die Pokémon direkt fangen kann ohne sie vorher schwächen zu müssen. Dies beißt sich zwar mit dem Anime, in dem das Schwächen vor dem Fangen ein wichtiger Bestandteil ist, um ein Pokémon fangen zu können, macht aus Spielsicht aber tatsächlich Sinn. Klar gibt es immer viele, die im Voraus nichts davon gehalten haben und auch nach dem Spielen der Meinung bleiben. Für mich war es jedoch eine gelungene Abwechslung zwischen etlichen Kämpfen gegen verschiedenste Trainer und dem „einfachen“ Fangen von Pokémon für die Sammlung. Denn dies kann auch ohne unzählige Kämpfe im nervigen Grinden enden – je nachdem welche Ambitionen man hat. So können Combos gesammelt werden (je öfter man ein und dasselbe Pokémon hintereinander fängt) und somit die Chance gesteigert werden ein Shiny-Pokémon zu erhalten. Dies ist dasselbe Pokémon – jedoch in einer anderen, einzigartigen Farbe. Für Sammler und Fans die Mühe definitiv wert.

Abgesehen davon kann das Fangen der Pokémon bereits Kampf genug sein. Denn die Pokémon können sich wehren und den Ball abblocken, sich davon bewegen oder einfach immer wieder aus dem Ball schlüpfen. Denn eine 100%-Fangchance gibt es nie und auch die Steuerung, vor allem wenn man in Ecken werfen will, macht einem ebenfalls manchmal einen Strich durch die Rechnung. Dies kann zum Teil extrem frustrierend sein. Der Wurf wird nämlich mit dem Joy-Con oder separat erhältlichem Pokéball Plus ausgeführt, in dem eine Wurfbewegung nachahmt wird, die das integrierte Gyroskop ins Spiel übersetzt. Aus diesem Grund bin ich ein Fan von der aktuellen Aufteilung der Spielmechaniken und denke, dass man in dieser Richtung wahrscheinlich noch vieles verbessern und optimieren kann; grundlegend jedoch dem Spielprinzip im Gesamten mehr als gut tut.
Wie bei Pokémon GO können auch hier unterschiedliche Beeren verwendet werden, um die Fang-Chance zu erhöhen oder das Fangen im Allgemeinen zu erleichtern.

Für diejenigen, die im Handheld-Modus spielen möchten, gibt es eine Alternative und weitaus zuverlässigere Option beim Fangen der wilden Pokémon. Sind die Controller am Display angeschlossen, kann bei der tragbaren Heimkonsole der linke Stick zum Zielen verwendet werden. Das Drücken auf den A-Knopf schleudert den Pokéball auf das Ziel. Dies ist viel praktischer und vor allem einfacher. Wir hoffen, dass ein Software-Update diese Möglichkeit auch im TV-Modus anbietet.
Sollte man sich irgendwann im Kampf mit anderen Trainern wiederfinden, werden diese genau wie in den anderen Spielen zuvor ausgeführt. Es müssen die Vor- und Nachteile des Typs kennengelernt werden, um erfolgreich zu sein. Auch wenn das Spiel den Eindruck erweckt hat, dass man hiermit Casual-Spieler anziehen möchte, werden einem die Kämpfe auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Denn diese haben es zum Teil in sich – vor allem wenn man auf die Arena-Leiter und später den Elite-Vier trifft. Aufgrund der Tatsache der ersten Pokémon-Generation der Kanto-Region, muss man sich jedoch darauf gefasst machen, dass es nicht allzuviel Abwechslung gibt. Die meisten Pokémon sieht man sehr häufig, was aber auch beim Erlernen von Vor- und Nachteile hilft.

Diese erhöhte Herausforderung ergibt sich auch aus dem ungewöhnlichen Stat-System, das bedeutet, anstelle der Verwendung von verkappten, verborgenen Werten, die mit dem Niveau eines Pokémon skaliert werden, dass jetzt auch unterschiedliche Bonbons verwendet werden können, um diese zu aktivieren. Diese können verwendet werden, um einen bestimmten Wert unabhängig von seinem Level zu erhöhen, oder, wenn es sich um Süßigkeiten für eine bestimmte Pokémon-Art handelt, all ihre Werte gleichzeitig zu erhöhen. Sobald du anfängst Zeit damit zu verbringen, stellst du schnell fest, dass ein Pokémon Werte haben kann, die zuvor unmöglich waren. So kann man 20 Level und mehr Unterschied ohne große Probleme ausgleichen.
Alles in allem ist es jedoch bemerkenswert wieder in der Kanto-Region zu sein. Während es dem ursprünglichen Spiel treu bleibt, erwacht die Welt zu neuem Leben. Von den wilden Pokémon, die überall um dich herum erscheinen bis hin zu den legendären Pokémon, die mit kleinen Videosequenzen untermalt wurden. Das alles fühlt sich an wie eine neue Sicht auf das Abenteuer an, das wir in den letzten 20 Jahren unternommen haben. Und glücklicherweise ist das Game Design eben nicht mehr – unabhängig von Grafik und Sound – 1:1 dasselbe wie früher. Vor allem die Interaktionen mit deinem Partner Pikachu oder in unserem Falle Evoli tragen dazu bei, dass man wirklich das Gefühl hat eine echte Bindung einzugehen. Das hat man sich vor 20 Jahren vielleicht ebenfalls so gewünscht und erst heute konnte dies mit den Möglichkeiten der Technik so umgesetzt werden. Denn diese einzigartige Bindung wird dich mit der Zeit belohnen einzigartige Moves zu verwenden, die sowohl passiv vom Pokémon selbst als auch aktiv auf deinen Befehl hin ausgeführt werden können. Außerdem gibt es unzählige Individualisierungsmöglichkeiten. Du kannst dein Partner-Pokémon sogar so kleiden, dass ihr beide im Partner-Look durch Kanto streift. Egal ob im seriösen Anzug, chilligen Strand-Klamotten oder in einem Team-Rocket-Outfit – es gibt unzählige Kombinations- und Anpassungsmöglichkeiten.

Für diejenigen, die wissen wollen, was sie erwartet, nachdem sie die Elite-Vier besiegt haben, um Champion zu werden, ist das Endgame etwas ungewöhnlich. Wie im ursprünglichen Spiel kann man Mewtu jagen. Außerdem kann man erneut Arena-Leiter herausfordern. Zudem gibt es sogenannte Meister-Trainer, die jeweils auf ein einziges Pokémon spezialisiert sind. Kann man diese mit dem jeweiligen Pokémon besiegen, erhält man einen Titel, den man Online im Kampf gegen andere verwenden kann, um auch sein Online-Profil etwas individualisieren zu können. Dies ist eine lustige Herausforderung, der man sich stellen muss, aber es wird einem schon früh klar, wie hart dies wird, wenn man dies mit jedem Pokémon machen möchte. Die Meistertrainer haben ihr Pokémon auf ein hohes Niveau trainiert. Daher müsstest du dasselbe tun, um eine Chance zu haben, sie zu schlagen. Egal, ob du Erfahrung sammelst oder Bonbons hortest, um die Statistiken zu verbessern; es wird viel zu viele Stunden dauern, wenn du davon ausgehst, dass der Titel die einzige Belohnung ist. Von daher sollte man sich überlegen, mit welche Titel man sich im Voraus gerne schmücken möchte.
Selbst Multiplayer-Kämpfe werden dich wahrscheinlich nicht lange beschäftigen. Du kannst an Einzel- oder Doppelschlachten teilnehmen oder mit einem anderen Spieler handeln. Dieser soziale Aspekt der Erfahrung war von Anfang an dabei, aber da es zwischen den beiden Spielen weniger Versionsausschlüsse gibt, kann ich nicht erkennen, dass der Handel so aktiv sein wird. Es gibt nur drei Pokémon exklusiv in jeder Edition. Hinzu kommen einige wenige exklusiv aus Pokémon GO und noch drei weitere, die sich ausschließlich durch Tausch weiterentwickeln können.
Sorgen mache ich mir etwas bei den mit Süßigkeiten vollgestopften Pokémon in Online-Spielen. Unerfahrene Spieler fragen sich vielleicht, warum sie ihre Kämpfe ständig so hart verlieren, obwohl ihre Pokémon ebenfalls auf maximalem Level sind. Vielleicht liege ich ja falsch, aber ich denke, dass dies ein großes Problem sein könnte zwischen jenen, die rund um die Uhr grinden und jenen, die dies nicht am laufenden Band machen möchten.

Es gibt eine Offline-Multiplayer-Option, die sehr gut funktioniert. Im Couch-Koop kann der Pokéball Plus oder eine Joy-Con einfach geschüttelt werden und schon erscheint ein Support-Trainer, der dem Hauptspieler bei der Erkundung von Kanto unterstützen kann – sowohl beim Gewinnen von Kämpfen als auch dem Fangen wilder Pokémon. Der Helfer hat immer das andere Geschlecht als die Hauptfigur. Die Helferfigur ist insofern eingeschränkt, als dass sie nicht mit anderen Personen, Gegenständen oder Pokémon interagieren können. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Unterstützung mit der du dein sechsköpfiges Pokémon-Team im Gefecht aufteilen kannst, um so eine eigentlich ziemlich unfaire 2:1-Situation zu schaffen für den Gegner. Es ist daher nicht überraschend, dass dies dein Abenteuer viel einfacher macht. Der Couch-Koop ist die perfekte Gelegenheit für erfahrenere Spieler Neulingen bei ihrer ersten Reise in die Welt von Pokémon zu unterstützen.
Mit mehr als 800 Pokémon, die im hohen Gras herumlaufen, und Hunderten von Attacken, die in der Schlacht in Betracht gezogen werden müssen, vergisst man sehr schnell wie überwätigend die Pokémon-Serie für Neuankömmlinge sein kann. Das macht Pokémon: Let’s Go Pikachu & Evoli zum perfekten Abenteuer für alle, die zum ersten Mal die Kanto-Region erkunden möchten. Das Ergebnis ist ein Spiel für alle – unabhängig von ihrem Alter. Das Streben nach Zugänglichkeit von Game Freak bedeutet, dass diese Reise nicht alles bietet, was erfahrene Fans erwarten oder sich wünschen. Es hat Schwächen im Endgame und in der Tiefe und sicherlich ist auch nicht jede getroffene Game-Design-Entscheidung für jedermann die richtige. Es ist dafür ein unterhaltsames, ehrliches und unvergessliches Erlebnis für Jung und Alt. Sowohl Neulinge als auch Veteranen bekommen ein modernes und zugängliches Pokémon-Spiel für die Nintendo Switch, das die Vorfreude auf kommende Generationen der Spielserie nur verstärkt.