Rund 5 Jahre ist es her, seitdem die ursprüngliche Mass Effect Trilogie ihr kontroverses Ende fand. Nun startet Bioware mit Mass Effect Andromeda eine neue Reise in Galaxien, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Doch ebenso wie die Reise der Andromeda Initiative ist auch das fertige Spiel leider nicht so erfolgreich wie erhofft. Die Kritiken für das Spiel sind ziemlich durchwachsen und Lichtjahre entfernt vom euphorischen Empfang der ursprünglichen Trilogie. Nach über 40 Stunden mit dem Spiel möchten wir nun unsere Meinung in den Ring werfen. Kann Bioware in einer neuen Galaxie zu alter Stärke zurückfinden?
Neuanfang am Rande des Universums
Die erste Hürde eines Nachfolgers der Mass Effect Trilogie war es, eine Geschichte zu finden, welche zum einen neu und zum anderen vertraut für Fans der Serie ist. Auch sollte der neue Ableger ein guter Einstiegspunkt für neue Fans sein und den Storyballast, sowie die Entscheidungen der Trilogie hinter sich lassen. Wie könnte eine Geschichte sonst Bedeutung haben, wenn zeitgleich die Existenz allen Lebens auf dem Spiel steht? Zumindest mit dem Setting macht Bioware hier alles richtig. Mass Effect Andromeda handelt von der Andromeda Initiative, einer Gruppe von Immigranten nahezu aller zuvor bekannten Rassen, welche eine neue Heimat in einer weit entfernten Galaxie sucht. Damit werden die bekannten Aliens, ihre Beziehungen und ihre Technik mit einem neuen und interessanten Ziel verknüpft, um dem Spieler so eine neue Geschichte zu liefern, die sowohl frisch als auch vertraut wirkt. Ein durchaus cleverer Schachzug!
Ein schweres Erbe

An dieser Stelle ist ein Vergleich zur ursprünglichen Trilogie unvermeidbar. Die Mass Effect Trilogie gehört für mich zu den mit Abstand besten Titeln der letzten Generation. Insbesondere Teil 2 rangiert unter meinen liebsten Spielen aller Zeiten. Alles rund um Story und Setting ist nahezu perfekt. Die Welt fühlt sich real an dank einer glaubhaften und umfassenden Geschichte, welche schon lange vor dem Auftreten des Spielers existierte. Jede Alien Rasse hat in dieser Welt ihren Platz und die Geschichte zwischen ihnen spiegelt sich in den Aktionen und Gepflogenheiten der jeweiligen Charaktere wider. Die Crew selbst besteht aus interessanten und liebenswerten Charakteren mit ihren eigenen Idealen, Macken und Philosophien. Es gibt dabei kaum Schwachstellen im Geflecht und selbst vergleichsweise langweiligere Charaktere sind noch immer viel interessanter als der Gaming-Durchschnitt.
Politik und Sci-Fi Elemente, welche in anderen Spielen für langweilige und langwierige Hintergründe herhalten würden, sind hier spannend und faszinierend. Sie bilden eine Grundlage für die Story und für die Entscheidungen des Spielers und treiben so die Handlung voran. Am Ende der Reihe fühlt sich die Crew der Normandy an, wie eine kleine Familie. Kein anderes Spiel könnte einen DLC bringen, nur mit dem Anreiz, ein paar weitere Stunden mit den NPCs zu quatschen. Die Reihe bewegt sich erzählerisch auf einem äußerst hohen Niveau, was selbst das enttäuschende Ende von Teil 3 nicht trüben konnte.
Mass Effect Andromeda – eine Story mit Höhen und Tiefen
Der Versuch, diese Magie erneut zu erfassen gelingt in Andromeda nur bedingt. Die Haupstory wird größtenteils durch Prioritätsmissionen und Gesprächen mit NPCs erzählt. Darüber hinaus gibt es eine eine weite Reihe an Nebenquests, welche mit den zugehörigen Handlungssträngen die Hauptgeschichte ergänzen. Des Weiteren könnt ihr euch zwischen den Missionen mit eurer Crew unterhalten, um so mehr über sie zu erfahren und ihre persönlichen Quests voranzutreiben. Die Hauptstory wird durchaus kompetent erzählt und führt in einem angenehmen Tempo durch das Spiel. Obwohl das Spiel den ein oder anderen Versuch unternimmt, fehlen dennoch spannende Wendungen. Die Geschichte ist letztlich gut erzählte Standardkost und wirkt eher wie ein Fundament für eine neue Trilogie, als eine unabhängige, zufriedenstellende Geschichte.
Die Nebengeschichten in den Quests sind zum größten Teil öde und hinterlassen keinen verbleibenden Eindruck. Nichtsdestotrotz finden sich auch in Andromeda gute Stories, solange man sich an die eigene Crew hält.
Zuletzt zu erwähnen sind hier die Serientypischen Entscheidungen. Diese haben sich in der alten Trilogie stets bedeutungsvoll angefühlt, selbst wenn wir wussten, dass ihr Ausmaß nicht sehr groß sein würde. Im Moment der Entscheidung fühlte es sich wichtig an. Dieses Gefühl hatte ich in Mass Effect Andromeda fast nie, nahezu alle Gesprächsoptionen fühlen sich trivial an. Dass Mass Effect Fans mit dem Ende von Teil 3 realisieren mussten, wie unwichtig ihre Entscheidungen letztendlich waren, hat mich zusätzlich skeptisch gemacht, was die Ernsthaftigkeit von Andromedas Entscheidungen angeht.
Freunde und Feinde in Andromeda

Wie zuvor erwähnt, war für mich in Mass Effect die Interaktion mit den Charakteren oftmals wichtiger und spaßiger als die Missionen selbst. Obwohl die Crew sehr viel kleiner und weniger cool ist als in Teil 2, macht sich auch Andromeda gut. Auf den ersten Eindruck ist ein Großteil des Teams etwas fad, je mehr ich gespielt habe, desto mehr sind mir die Charaktere jedoch ans Herz gewachsen. Jedes Crew Mitglied gibt dem Spieler persönliche Quests, welche schließlich mit einer großen Loyalitätsmission enden. Im Laufe dessen lernt ihr die Figuren besser kennen und versteht so, was sie im Inneren antreibt.
Die Gegner sind dagegen eine Enttäuschung. Die Kett sind, ein altes und böses Imperium, und damit wichtiger als alle anderen Rassen. Sie haben das Recht alles auszulöschen aus einem Grund, den wir nie verstehen könnten und … bla bla bla. Das Design der Widersacher erinnert an die Locust aus Gears of War, davon abgesehen sind sie aber nur langweilig, uninspiriert und klischeehaft. Die anderen Feinde sind antike Roboter, welche von einer mysteriösen Schöpferrasse konstruiert wurden und alte Ruinen beschützen. Beide Rassen treiben die Story zwar voran und verursachen ein paar interessante Entwicklungen, die Gegner selbst sind jedoch ziemlich uninteressant.
Die letzte neue Rasse des Spiels sind die Angara, die Ureinwohner und die einzigen freundlichen Aliens in Andromeda. Sie erinnern an die Zora aus Legend of Zelda mit ihrem etwas fisch-ähnlichem Design. Die Angara zeichnen sich durch eigenen Charakteristika und Stories aus, aber auch sie konnten mein Interesse kaum halten. Und damit sind auch schon alle neuen Rassen erwähnt. Ja ihr habt richtig gelesen. Mass Effect Andromeda bringt uns eine komplett neue Galaxie und bietet nur zweieinhalb neuen Alien Rassen, die allesamt recht langweilig sind. Hier sind wir von der Serie Besseres gewohnt.
Tolle Ideen – Durchwachsene Umsetzung
Als Pathfinder der Initiative ist es eure Aufgabe, eine neue Heimat auf den Planeten der Galaxien zu finden. Dafür stehen euch insgesamt 5 Welten offen, welche ihr im neuen Offroadfahrzeug Nomad frei erkunden könnt. Die Welten sind riesig und auf den ersten Blick auch ziemlich cool. Je mehr Zeit man allerdings in ihnen verbringt, desto leerer fühlen sich die Planeten an. Die Quests holt man sich meistens in einem der Bevölkerungszentren ab, um sie dann in den Sandboxen zu erledigen. Nach der Erfüllung einer Quest gibt es jedoch keine Motivation, um das Teilgebiet erneut zu besuchen. Das Reisen innerhalb der Sandboxen ist strikt zweckmäßig, zufällige Begegnungen und sich organisch ergebende Quests, wie bei the Witcher sucht man vergebens.
Auch das Missionsdesign ist oftmals langweilig und verläuft nach einem berechenbaren Schema. Laufe von Punkt A zu Punkt B, töte die Gegnergruppe C, dann drücke Knopf D und gehe weiter zu Punkt E. Auch die Hauptquests verlaufen häufig nach diesem Muster, hier halten einen die Geschichte und das Drumherum allerdings bei der Stange.
Andere Nebenmissionen, wie beispielsweise auf der Raumstation Nexus sind wiederum recht cool. Es handelt sich um kleine Storys mit relativ simplem Gameplay, doch sie geben einen Einblick in die Lage der Bevölkerung, die neuen Siedlungen und ihren Problemen, sowie in die übergreifenden Themen des Spiels. Die Qualität schwankt also gewaltig und bietet so ziemlich alles, von langweiligen Sammelaktionen über die Erkundung antiker Alienvaults, bis hin zu riesigen Arealen, welche an klassische Shooter Level erinnern.
Eine nach wie vor fast durchgängig hohe Qualität bieten dagegen die bereits erwähnten Loyalitätsmissionen, welche mit den Hauptmissionen das Highlight des Spiels darstellen. Am meisten Spaß hat man mit Mass Effect Andromeda, wenn man realisiert, welche Missionen cool und welche Missionen Füllmaterial sind.
Jetpacks – Ein Boost für’s Kampfsystem
Zumindest was das Kämpfen angeht macht Mass Effect Andromeda ordentliche Fortschritte zu den bisherigen Titeln. An sich folgen die Gefechte noch immer den gleichen Regeln. Ihr beweget euch zwischen verschiedenen Deckungen und beschießt eure Gegner mit den Standardschusswaffen, wie Sturmgewehren, Shotguns und Scharfschützengeweheren, sowie einer Reihe von Spezialfähigkeiten. Womit sich Mass Effect Andromeda von den alten Teilen abhebt, ist eine erhöhte Geschwindigkeit und eine größere Flexibilität bei der Charakterentwicklung. Mit dem neuen Jetpack könnt ihr hoch springen, in der Luft schwebend schießen und über kurze Strecken boosten. In Deckungen zu boosten ist so ziemlich praktisch und beschleunigt das Kampsystem. Bei natürlicher Deckung, wie Felsen ist es allerdings etwas unpräzise und schwammig. Allgemein sorgt das automatische Deckungssystem manchmal für Probleme, da es nicht immer direkt klar wird, wann man geschützt ist und wann nicht.
Das neue Skillsystem
Wirklich cool ist das neue Skillsystem. Während ihr euch zuvor direkt zum Spielbeginn auf eine Klasse und ihre Fähigkeiten festlegen musstet, gebt ihr eure Skillpunkte nun direkt für die Fähigkeiten eurer Wahl aus. Es gibt mit dem Soldaten, dem Techniker und dem Biotiker 3 Kategorien für Skills. Ein paar Fähigkeiten brauchen zur Freischaltung noch immer eine bestimmte Anzahl von ausgegeben Punkten in der jeweiligen Kategorie, dennoch habt ihr nun viel mehr Freiheit, um euren eigenen Kampfstil zu finden. Auch könnt ihr eure Punkte zwischen den Missionen neu verteilen. Selbst während den Kämpfen könnt ihr euch zwischen bis zu 4 verschiedenen Konfigurationen eurer Kräfte wechseln. Die Gefechte lassen sich damit individueller angehen, ohne dass euch langweilig wird. Das System trägt zum Experimentieren bei und ermöglicht euch viele coole Kombinationen aus Kräften und Waffen auszutesten.
All das sorgt theoretisch für sehr unterhaltsames Kämpfgefühl, welche die Basis für eine Menge toller Gefechte und Missionen darstellen müssten. Leider verschenkt Bioware hier Potenzial, denn die tatsächlichen Schlachtfelder ähneln sich in ihrem Aufbau zu sehr. Auch gibt es nicht genügend Gegnertypen und auch ihr Vorgehen ist nicht sonderlich differenziert. Abwechslung findet ihr also zum Großteil nur durch das Experimentieren mit verschiedenen Skillsets.
Grafik, die ein Lächeln ins Gesicht zaubert … nur nicht immer freiwillig
Mittlerweile haben wir sie alle schon gesehen: Mass Effect Andromeda und die grauenhaften Gesichtsanimationen. Ein kürzlich erschienener Patch hat das Problem bereits verbessert, neue Standards setzt das Spiel hier aber trotzdem nicht. Und ehrlich gesagt muss es das auch nicht. Klar man kann sich darüber lustig machen, aber für mich sind die Animationen nicht sooooo schlimm. Was mich mehr stört, ist dass Charakteremodelle aussehen, als ob sie aus Plastik wären. Beide Probleme betreffen die Menschen mehr als die Aliens, da diese sowieso etwas befremdlicher aussehen und Fehler so ein wenig kaschiert werden.
Die offenen Planeten sind vielleicht ein wenig karg im Inhalt, grafisch machen sie dennoch einiges her. Die Szenerie ist schön anzusehen und bietet eine beeindruckende Weitsicht. Insgesamt sind die Sandboxen sehr abwechslungsreich und fühlen sich stellenweise wirklich wie ein anderer Planet an. Weniger schön sind die konstanten und hässlichen Popins, welche zumindest die Standard PS4 plagen.
Das Alien Design der alten Rassen sind nach wie vor inspiriert und abwechlungsreich. Jede Rasse lässt sich klar von den anderen entscheiden. Die Designs der Turianer, Asari und Kroganer sind mittlerweile ikonisch. Die neuen Rassen sind dagegen, wie bereits erwähnt, ziemlich uninspiriert unter anderem auch auf Grund ihres Designs. Vor dem Release des Spiels hieß es, die Gegner müssten humanoid sein, damit sich Spieler mit ihnen identifizieren können. Der Zyniker in mir sagt, dass sich KI leichter programieren lässt, wenn fast jeder Gegner eine Variante von „Typ mit Waffe, der in Deckung geht“ ist. So lassen sich, ebenso wie mit schwebenden Robotern, ein Haufen Körperanimationen sparen.
Ebenfalls bemängeln müssen wir die häufigen Grafikfehler, wie flickernde Hintergründe in Menüs, Fehlanimationen, durch die Luft schwebende Crewmitglieder und Clippingfehler. Generell neigt das Spiel dazu, abzustürzen oder Bugs zu produzieren, welche einen Neustart notwendig machen. Das ist zwar nervig, durch die regelmäßigen Autosaves auch kein Beinbruch.
Solider Sound für ein solides Spiel
Das Geschehen wird in Mass Effect Andromeda durch einen guten orchestralen Soundtrack untermalt. Dieser passt zwar stets zum Geschehen, bleibt jedoch nicht im Gefächtnis hängen. Um ehrlich zu sein, hätte ich die Musik kaum wahrgenommen, wenn ich nicht im Zuge dieses Tests darauf geachtet hätte. Gestört hat mich die Musik allerdings auch nie. Wichtiger sind dagegen die Dialoge. Die Qualität des Voice Actings ist insgesamt gut. Jeder Sprecher macht einen guten oder zumindest annehmbaren Job. Im schlimmsten Fall hört sich eine Synchro mal etwas gelangweilt an, aber insgesamt stimmt die Qualität. Die englische Sprachausgabe ist vergleichsweise einen Ticken besser.
In den Missionen passiert es leider recht häufig, dass ein laufender Dialog, vom nächsten Dialog unterbrochen wird, sobald man einen besteimmten Teil des Levels erreicht. Es ist unklar, wo man stehen bleiben müsste, um die Dialoge ohne Unterbrechung zu hören. Wer alles hören will, darf demnach während Gesprächen niemals sprinten. Das ist nicht gerade elegant gelöst und geht gegen die Grundinstinkte der Spieler.
Gutes Fundament – Enttäuschendes Spiel
Mass Effect Andromeda verknüpft ein tolles Setting mit einer guten Geschichte und Gameplay, das stärker ist als je zuvor. Langweiliges Missionsdesign, eine riesige Menge an Füllerquests und ein Mangel an Kreativität halten das Spiel leider zurück. Die stärksten Aspekte der Mass Effect Trilogie finden sich auch in Andromeda wieder, jedoch zu keiner Zeit in der gleichen Qualität. Das Spiel ist gut, aber gemessen an den Höhepunkten der Serie dem dritten Teil der Witcher Reihe eine Enttäuschung.
Dennoch wird Mass Effect Andromeda besser, je länger man es Spielt. Mit steigender Spielzeit sind mir die Charaktere mehr ans Herz gewachsen und ich konnte besser einschätzen, welche Missionen mich interessieren und welche ich ignorieren sollte. Ich habe meinen eigenen Kampfstil gefunden und begonnen ihn sehr zu genießen.
Mass Effect 2 ist eine Weltraum Oper mit einer tollen Story und durchmäßig hoher Qualität. Mass Effect Andromeda ist dagegen eine riesige, wilde Galaxie. Wie der Pathfinder muss auch der Spieler seinen eigenen Weg finden, um das meiste daraus zu machen.
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