Unten angekommen werfen wir einen Blick vor die Haustür. Alles ist ruhig und nass. Niemand ist auf den Straßen. Wir schließen die Tür und sagen Shaun, dass es an der Zeit wäre, ins Bett zu gehen. Er versucht zu verhandeln um noch ein paar Minuten in die fremde Welt des Fernsehens einzutauchen. Eine Welt, in der alles so anders und harmonisch zu sein scheint, in die er sich flüchten kann, um dem Alltag zu entgehen. Doch als Ethan das Argument der Schule nennt, wird er einsichtig und geht schon mal nach oben, um sich die Zähne zu putzen und einen Pyjama überzustreifen. Wir selbst bereiten in seinem Zimmer schon einmal alles vor. Ziehen den Vorhang herunter, schalten das kleine Nachtlämpchen an. Shaun kommt herein und legt sich ins Bett. Ohne seinen Teddy kann er aber nicht gut einschlafen, also holen wir ihn aus der Waschküche. Würden wir uns weigern, hätte diese kleine Entscheidung fatale Auswirkungen auf die Geschichte.
Mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedet sich der Vater für den heutigen Tag. Beim Herausgehen fragt ihn der Junge, warum er immer so traurig ist und Ethan antwortet: „Ich brauche Zeit.“ Shaun meint, dass es nicht seine Schuld gewesen sei, dass sein Bruder nicht mehr lebt. Ethan bleibt noch wenige Augenblicke in der Tür stehen, bis er letztendlich zu einer Antwort bereit ist: „Gute Nacht.“ Dann geht er hinaus.
Alternative Paralleluniversen in Heavy Rain
Jede Kleinigkeit, ob der Verzehr von Apfel oder Chipstüte, verändert den Verlauf und somit auch das Ende, welches gravierende Abweichungen zwischen Happy-End oder tragischem Ausgang haben kann. Leute können überleben, aber ebenso auch sterben. Somit sieht man beim Spielen niemals alles und auch niemals dasselbe. So ist jede Entscheidung und jede Handlung fest mit dem Werdegang der Story verankert. Würden wir Shaun beispielsweise keinen Snack bringen, würde er sich irgendwann selber einen holen, mit aller Kindeskraft den Stuhl verrücken, darauf steigen und die Chipstüte im Schrank favorisieren. Oder aber, wenn wir ihm nicht sagen, dass es Zeit wäre ins Bett zu gehen, sondern einfach den Fernseher ausmachen, hätte dies fatale soziale Folgen auf die Beziehung der Beiden. Shaun würde argumentieren, dass ihm seine Mutter immer fernsehen ließ, stur die Treppe hoch rennen und ins Bett gehen. Beim anschließenden Gute-Nacht-Kuss würde er uns dann wegschubsen und uns ins Gesicht sagen, wie sehr er uns hasst. Und würden wir gar nichts am Abend tun, würde er vor dem Fernseher einschlafen und wir würden ihn ins Bett hieven müssen. Beim Umziehen müssten wir ebenso assistieren.
Auch verschiedene Orte, wie zum Beispiel jener eines Stripteaseclubs, wird man nur sehen, wenn man bestimmten Mustern folgt. Ebenso kann es vorkommen, dass man sich niemals in bestimmten Ambienten aufhalten wird.
Was ist virtuell und was real?
Dies war die größte Frage, die sich mir nach der Präsentation stellte. Denn ein unbeschreibliches Erlebnis durchfuhr mich, als sich die Tür des abgedunkelten Konferenzsaales öffnete und weißes Licht unseren Raum erfüllte. David Cage kündigte Ethan Mars an und er trat durch die Tür. Mir steckte ein Kloß im Hals. Tatsächlich trat der leidig dreinschauende Charakter aus Heavy Rain über die Schwelle, sein perfektes Abbild oder besser gesagt Original. Der Saal verstummte. Ruhig und mit neutraler Mimik nahm er neben dem Regisseur Platz und verharrte. Dieses Mal war es nicht der Regen, der einen Schauer verursachte, sondern das Auftreten dieses Mannes. Und dieses Mal waren wir es, die starrten.